Atlas - Luxus
Text downloaden
Ein „Bentley“ hat Flügel – das Logo suggeriert, dass Fahrer und Wagen dem Himmel ein
Stückchen näher sind, wenn das Gefährt mit hoher Geschwindigkeit nur so dahinzufliegen
und die Bodenhaftung zu verlieren scheint. Auf der Druckgrafik von Stefan Fahrnländer
kann dies anscheinend auch der Einkaufswagen mit dem geflügelten Bentley-Logo. Der Schatten
deutet schon an, dass der Wagen nicht von dieser Welt ist, sondern - und der Titel sagt es auch
- aus der Welt des „Luxus“ stammt. Einer Göttin gleich schwebt der filigrane, mit einer schicken
Lenkstange in Pink und einer hellblauen Werbefläche ausgezeichnete, blitzblanke Prototyp eines
sorgfältig designten Einkaufswagens über einer undefinierten Fläche. Wie die Darstellung eines
Emblems oder eine Abbildung im Bildlexikon, in dem es immer nur um einen Begriff geht, steht
„Luxus“ isoliert von seiner Bestimmung allein auf dem weißen Papier. „Luxus“ definiert der Duden
als „überflüssigen Aufwand, Sittenlosigkeit, Verschwendungssucht“. Doch die Übersetzung
von luxus aus dem Lateinischen bedeutet sehr bildhaft „Verrenkung“ im Sinne von Abweichung
vom Normalen. Durch das Herauslösen aus jedem Zusammenhang changiert der „Bentley“ zwischen
Werbung für das Auto und Bezeichnung für den Warenkorb. Der „Warenkorb“ steht
dabei nicht nur für den reellen Einkaufswagen, sondern auch für den Einkauf im Internet, den
virtuellen „Warenkorb“. Ein leerer Einkaufswagen drückt –
hier wie dort - die Leere, den Mangel aus. Und nichts ist so
erwartungsvoll, so hoffnungsvoll wie ein leerer Einkaufswagen,
fordert er doch still, aber nachdrücklich zum Konsum
auf. Oft genug geben die Artikel in einem Korb Auskunft
über die Gewohnheiten, Lebensumstände und finanziellen
Verhältnisse der Käufer. Da Stefan Fahrnländer die Ästhetik
des Wagens betont, so könnte dies ein Einkaufskorb für
besondere Waren sein. Oder ist doch vielleicht der Verzicht
auf Waren nicht gerade der feinste und exquisiteste Luxus
überhaupt? Und ist nicht vielmehr das, was wir nicht haben
oder das, was allen gehört und das, was nicht sichtbar ist,
der eigentliche Luxus?
Gabriele Lohberg, Trier 2012