Das Prinzip Heimat

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Wo finden wir eigentlich Heimat? Eine kleine Story dazu: Anfang, Heimat Uckermark, Aluminium Ponton, wo der wohl her war, Bastelbrücke, Ökos, Sturz ins Wasser, Buch, Entstehung von Öl, Mustererkennung Österreicher, Öl in den Alpen, Peak Öl. Scifi Recherche, dicke Bücher zu 1000 Seiten, alles dunkel getönt und zeitnah auf der Erde spielend. Orte verschwunden; lösen sich auf.

Die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt unflexibel an einem mehr oder weniger großen Ort. Ihr ist es ökonomisch nicht möglich diesen Ort, meist ihren Geburtsort zu verlassen. bzw. in dem Sinne der wohlhabenden Bevölkerung zu Reisen. Für sie ist Heimat ein selbstverständlicher Verortungsbegriff, ob sie diese wertschätzen oder nicht.
In unseren entwickelten Industriegesellschaften ist Mobilität hingegen ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden. Durch die ständige Verfügbarkeit sowohl körperlich als auch virtuell ist uns der Begriff Heimat nahezu abhanden gekommen und wir sind wieder auf der Suche nach solchen Entinitäten um uns zu orten und irgendwo festzuhalten.
Mittlerweile sind allerdings Millionen bedroht, einen Ort den wir lokal Heimat nennen könnten, zu verlieren. Große Teile der Küstenbereiche könnten untergehen. Natürlich sind die Folgen in Holland oder Bangladesh sehr verschieden. Im einen Fall eine drastische Beschneidung des Siedlungs- und Produktionsraumes, im anderen Fall eine lebensgefährliche Perspektive für Millionen. Die Niederländer kaufen seit Jahren Flächen im Harz, also bei ihnen um die Ecke, in Sachsen-Anhalt, auf. Damit ist eine ihre Zielrichtungen klar. Für die Küstenbevölkerung Bangladeshs gibt es keinen anderen Lebensraum. Diese Folgen sind unabsehbar.

Und hier beginnt die Funktion der Verbildlichung oder der Bereich der Kunst. Natürlich ist all das zu beschreiben und zu prognostizieren, was wissenschaftlich auch geschieht. Aber ist es wirklich vorstellbar, begreifbar, sichtbar zu machen? Nicht so richtig, denn diese komplexen Prozesse sind exponentielle und so sieht man das Schleichende nicht und plötzlich schlägt die Realität um, und man steht im Wasser, dann ist es zu spät. Eines der besten Bilder für solche Prozesse ist immer wieder das Seerosenmodell. Selbst einen Tag vor der doppelten Vermehrung der Seerosen, also einer exponentiellen Funktion, ist der Teich noch halb offen und voll lebensfähig. In der nächsten Stufe ist es dunkel, zumindest zuerst unter Wasser.

In sehr unterschiedlicher weise verbildlichen Martin Jähnichen und Stefan Fahrnländer Ansätze, die mit dieser Problematik zu tun haben oder direkt aus ihr kommen.
Das wasser wird steigen, sehen sie hin. so könnte man den Slogan Martin Jähnichens „waterlines“ vertstehen, der weltweit Orte bereist und dort den prognostizierten Wasserstand mit Hilfe eines blauen Lasers in die örtliche Situation einspiegelt. 1Diese prozessuale und konzeptuelle Arbeit wird hier erst zum zweiten mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Und ein Seecontainer, wie er hier steht, kann auch sehr gut als mobile Reisegalerie verwendet werden, was die Zunkunft sein soll.
Man könnte das Modell als Zukunftsdokumentarismus bezeichnen, also eine abstrakte und nicht naturalistische Verbildlichung der zu erwartenden Veränderung durch den Anstieg des Meeresspiegels an einer konkreten Stelle dieser Welt. Man muss sich selbst dorthin versetzen und dann selbst ersehen, was wäre, wenn der Wasserstand so gestiegen wäre? Das führt durchaus zu drastischeren Erkenntnissen, als die Ausmalung der konkreten Szenarien, denn eine Ausmalung des Chaos macht es nicht vorstellbarer. Unser Mitdenken und unsere eigenen Vorstellungen führen zu mehr Schrecken, der wiederum vielleicht eine Tendenz beförden kann, die das zu erwartende Ereignis noch korregiert. Dem zu erwartenden weltweiten Verschwinden großer Bereiche der Küstenregionen stellt Martin Jähnichen schon jetzt deren Dokumentation gegenüber. Man könnte sagen, halten wir doch zumindest bildlich fest, was unterzugehen droht. Sie können sich daran beteiligen, indem sie Martin Jähnichen finanziell für dieses Projekt unterstützen. Er leistet da eine rastlose Sysyphusarbeit und der eigentlich größte Lohn wäre, wenn all die abgebildeten Gegenden nicht im Wasser untergehen müssen. Was im Moment aber eher als unwahrscheinlich zu betrachten ist. Die Prognose steht bei einer Erwärmung von 4 Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts. In Metern als zu erwartende Wasserhöhe mag man sich das nicht wirklich vorstellen.

Stefan Fahrnländer wählt einen anderen, einen so könnte man sagen, fast rein poetischen Weg. Er hat in der letzten Phase seiner Arbeiten fast alle technischen Komponenten hinter sich gelassen und ist auf die verstärkte Ausdruckskraft reduzierter Bildsysteme zurückgegangen. Die hier zu sehenden Bilder und Plastiken haben zwar alle noch einen „elektronischen-digitalen“ Hintergrund, aber der beschränkt sich auf das Werkzeug und ist ihnen nicht mehr direkt anzusehen. Sie sind zu Elementen des analogen Bildgeschehens geworden.
Und wenn man dann noch die 3d-Konstruktionen der Körper real in Holz umsetzt, der Künstler hat einmal das Handwerk der Holzbearbeitung erlernt, verliert sich der digitale Hintergrund fast gänzlich. Dann noch das Malerische betont und die Boje in Pink getaucht und fertig ist das autarke und reale Kunstwerk.
Es sieht so aus als habe Stefan Fahrnländer damit die Sachlage bereinigt. Der Computer ist zurück in den Werkzeugkasten als Mittel des Künstlers geführt und hat seine omnipotente Hintergrundstrahlung verloren. Klarheit der Form und des Gedankens bestimmen die Bildwelten.
Das zeigt sich vor allem in einer Serie von einzelnen Objekten, die aus der endlosen Archivplatte des Künstlers zu stammen scheinen. Sie sind hier vereinzelt und mit einem Titel versehen. Dieser dreht die Gegenstände ins fast Absurde und verdreht ihren Sinn, doch durch den Betrachter erschließt sich diesen Zweckgegenständen ursprünglicher Bildwelten Fahrnländers ein neues Feld.
Aber das wichtigste in der Ausstellung sind die titelgebenden „Seezeichen“. Stefan Fahrnländer hat sich in die Welt eingedacht, die werden könnte, stiege der Weltmeeresspiegel drastisch und wir wären gezwungen, auf den Ozeanen zu leben. Wie könnten da Gefährte auf dem Wasser ausssehen, mit denen wir dann fahren und in denen wir vielleicht leben?

Waterworld ist ein US-amerikanischer Science-Fiction-Film des Endzeitgenres, der 1995 gedreht wurde und in dem es genau darum geht. Natürlich in einer anderen Art und weise.
Die Handlung spielt in einer dystopischen Zukunft, in der durch eine nicht näher bezeichnete ökologische Katastrophe die Polkappen der Erde geschmolzen und die Kontinente fast vollständig im Wasser versunken sind. Die wenigen Überlebenden leben als Händler auf Booten oder auf schwimmenden Atollen. In einer Szene erkennt man den Namen eines „Piraten“-Schiffes. Er lautet „Exxon Valdez“. In der letzten Einstellung sieht man zwei Personen, die ein Schild finden. Sie stehen auf dem Mount Everest. Bei allem Pessimismus ist das natürlich naturwissenschaftlicher Nonsens aber ein drastisches Zeichen für die Richtung, den Gang der Dinge, der möglich wäre.
Einschub Wikipedia:
„Eine Dystopie (englisch dystopia, Gegenbildung zu utopia) oder Anti-Utopie ist in der Literaturwissenschaft eine fiktionale, in der Zukunft spielende Erzählung mit oftmals negativem Ausgang.[1] Sie handelt von einer Gesellschaft, die sich zum Negativen entwickelt, und stellt somit einen Gegenentwurf zu Thomas Morus’ Utopia dar. Die Eutopie (griech. εὐτοπία, eutopia) dagegen beschreibt das Gegenteil: eine Idealgesellschaft, die alle positiven politischen Menschheitsträume verwirklicht hat. Aber auch Endzeit-Geschichten sind eine Form der Dystopie. Häufig wollen die Autoren dystopischer Geschichten mit Hilfe eines pessimistischen Zukunftsbildes auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen und vor deren Folgen warnen.“
„Der Endzeitfilm, auch Apokalypsenfilm oder Postapokalyptischer Film, beschreibt ein Filmgenre, in dem die Filmhandlung in einer durch eine globale Katastrophe radikal veränderten Weltordnung situiert ist. Im Gegensatz zur Dystopie, welche die Verschlechterung gesellschaftlicher Verhältnisse beschreibt, entwirft der Endzeitfilm drastische, apokalyptische oder groteske Weltuntergangsszenarien als Extremfall der Dystopie.[1][2] Der Endzeitfilm ist ein Subgenre des Science-Fiction-Films, wobei dessen Motive gleichzeitig in den Genres des Horror- und Katastrophenfilms Verwendung finden. Es entstand in den 1950er Jahren, nachdem durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki eine weltweite Katastrophe möglich erschien.[3] Während bis in die 1980er Jahre hinein meist ein thermonuklearer Weltkrieg oder eine Pandemie die Katastrophe darstellten, wurden in späteren Filmen auch Klimakatastrophen thematisiert.“
Am deutlichsten finden sich diese Dystopien im Moment in internationaler Scifi Literatur. Auf der Basis des jetzigen naturwissenschaftlichen Kenntnisstandes, werden äußerst dunkle Szenarien auf der Erde in zeitnaher Zukunft beschrieben. Ich will nur ein paar Titel als Verweis nennen. Vellum, von Hal Duncan, 2008, Flah Crash, von Ruby Andrew, 2011 oder Das Cusanus-Spiel, von Wolfgang Jeschke, 2008. Alles düstere Szenarien in denen das, was wie heute noch Heimat nennen, ersatzlos verschwindet. Eigentlich unvorstellbar, oder doch?

Letztlich arbeitet ihr Amt an einer Vermeidung von Heimatverlust. Im besten Sinne in den Gedanken des großen deutschen Philosophen Ernst Blochs:
„Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ Ernst Bloch konnte sich zu seiner Zeit noch nicht vorstellen, das diese prinzipiell infolge der Tätigkeiten des Menschen einfach geomorph verschwinden kann. Also ein allgegenwärtiger Wiederspruch in dem wir uns bewegen.
Da muss auch Kunst zurück zu einfachen, übersichtlichen Konstruktionen, damit man etwas sehen kann, was anders nicht zu sehen ist und das ist hier gelungen.

Was bleibt, ist dann das Prinzip Hoffnung.

                                            Peter Lang, Eröffnungsrede Dessau, 2012