Malen im Futur

Text downloaden

Müssen Künstler sich in den jeweils neuesten Technologien artikulieren? Schließlich wird ihnen per se besondere Sensibilität gegenüber allen neu aufkommenden Phänomenen nachgesagt Die Kunstgeschichte beantwortet das mit einem klaren nein. Noch immer wird mit dem Pinsel Farbe auf Leinwand aufgetragen, obwohl die Technik seit mehr als 160 Jahren fotografische Bilder bereitstellt. Und auch die Fotografie wird ihrerseits weiter betrieben, obwohl die digitalen inzwischen die analogen fotografischen Bilder ablösen. Insofern wäre es verfehlt, Stefan Fahrnländers Wechsel von der Malerei zum hochelektronischen Mac als zwangsläufige Fortentwicklung zu begreifen. Doch wie es ihm beim Malen letztlich um Bilder zu tun war, geht es ihm bei den am Rechner kreierten Bildern weiterhin um Bilder. Denn wichtig ist ihm, wie er es selbst formulierte, „der Augenblick des Innehaltens, der Ruhe vor oder nach einer Bewegung“, eben jenes seit Jahrhunderten für das Tafelbild bestimmende Moment, „Surrogat einer zeitlich-räumlichen ‚Geschichte‘“ zu sein.
Obwohl die Wahl der Technik nichts über den Kunstcharakter von Bildern aussagt, trägt der Blick auf das Technische doch zum Verständnis bei, warum Stefan Fahrnländer leichten Herzens von der Malerei zur digitalen Bildproduktion wechselte. So ist der technisch-konzeptionelle Abstand überraschenderweise zwischen dem Malen und der digitalen Bildproduktion wesentlich geringer als der zwischen dem Malen und dem Fotografieren. Das Malen beginnt in der Regel auf einer neutralen, zumeist weißen Fläche, wobei das eigentliche Bild dann über den sukzessiven Farbauftrag entsteht. Dieser Malakt wird ganz entscheidend von den imaginativen wie handwerklichen Fähigkeiten des Künstlers determiniert. Ohne die schöpferisch-gestalterische Vorstellungskraft geht es auch beim Fotokünstler nicht, unabhängig davon, ob er sein imaginiertes Bild im realen Raum „findet“, oder ihm durch entsprechendes Inszenieren auf die Sprünge hilft, doch ist das fotografische Bild im Moment der Belichtung in seinen wesentlichen Bestandteilen definiert. Die Bildproduktion am Rechner beginnt, sofern nicht bereits existierende „Bausteine“ verwendet werden, ebenfalls am weißen Schirm und bedarf infolgedessen nicht minder entwickelter Imaginationskraft, um entsprechend den technischen Möglichkeiten akzeptable Bild zu kreieren. Ob der Künstler vorgefundene und dann eingescannte Bilder verarbeitet oder 3-D-Programme verwendet und diese dann mit dem Ziel der Zweidimensionalität im nächsten Arbeitsschritt rendert, in jedem Fall baut er den für sein Bild erforderlichen digitalen Datensatz sukzessive auf, kann ihn per Sicherungsdateien jederzeit unterbrechen, in den Arbeitsschritten zurückgehen oder aber fortsetzen und an jedem Punkt abschließen. Das schafft Optimierungsmöglichkeiten bei der Bildgestaltung, wie sie kein vorausgegangenes Medium erlaubte. Und es spricht viel dafür, dass Stefan Fahrnländer gerade in diesem letztlich unbegrenzten Potential den entscheidenden Anreiz für den Wechsel von der traditionsreichen Malerei zum digitalen Malen gesehen hat.
Wie der Wechsel von der malerischen zur digitalen Bildproduktion für Stefan Fahrnländer aufgrund der medienspezifisch verwandten Eigenheiten eine unverkennbare Plausibilität hat, erweist sich auch die motivische Entwicklung bei ihm als stringent. Nach einer ersten Phase mit figurativen Abstraktionen nahmen seine Gemälde zunehmend geometrische Grundformen auf, als er Architekturmotive mit markant gegliederten Fassaden oder Stahlverstrebungen malte. Daran knüpften die frühen digitalen Bilder in ihren Motiven ebenso an wie der bläuliche Grundton und die Aussparung eines Horizontes, was seinen Bildern eine scheinbar unausweichliche Geschlossenheit verleiht. Allerdings ging das Malerische, wie es in der Malerei durch den Pinselduktus, die Farbdichte und –verteilung definiert wird, in den glatten und präzise ausfallenden Oberflächen der digitalen Bilder auf. Deren Glätte nimmt - noch verstärkt durch die glänzende Oberfläche des Fotopapiers - in ihrem Erscheinungsbild trompe-l’oeil Qualitäten an, wie sie in der Malerei nicht zu realisieren sind. Die dargestellten Objekte scheinen, mehr noch als fotografische Sachaufnahmen, physisch greifbar zu sein.
In seinen neueren am Rechner kreierten Bildern begibt sich Stefan Fahrnländer, wie die Seefahrer, die einst nach der Terra incognita suchten, auf den Weg in bislang unbekannte Welten – Bildwelten. Denn die Digitaltechnologie ermöglicht, wenn sie nicht zur Simulation fotografischer und filmischer Bilder eingesetzt wird, virtuelle Wirklichkeiten, für die es vielleicht (wiederum verwandt mit den Fantasiegebilden in der Malerei) real existierende Vorlagen, aber keine deckungsgleichen Entsprechungen gibt. Wir treffen in seinen Bildern auf perfekt designte, machinenähnliche Körper, die wir - da ihre isometrische Darstellung unseren Wahrnehmungsgewohnheiten entgegenkommt - mit banalen Küchengeräten wie mit modernen Kampfflugzeugen oder Raketen assoziieren können. Wieder andere, überaus technoid aussehende Figurationen erinnern an futuristische Raumfahrzeuge die wie Ufos in Science-Fiction-Filmen durch den Raum zu schweben scheinen. Alles bleibt in seinen Funktionen rätselhaft. Die Objekte und Figurationen finden sich dank der äußerst effizienten Digitaltechnik in variantenreich mutierenden Formen von Bild zu Bild wieder. Die aus den Stils bekannten „Erscheinungen“ sind neuerdings von Stefan Fahrnländer, was eigentlich kaum verwundern muß, in animierte Videos und damit in ein sich permanent wandelndes Kontinuum überführt worden. All diesen Bildern, den Einzelbildern wie denen in den Videos ist eine Glätte und Perfektion eigen, die dem Duktus heutiger Produktwerbung gleicht. Da aber keine nützlichen wie nutzbringenden Produkte gezeigt werden, entzieht sich die formale Gestaltung dieser werblichen Sphäre.
Immer wieder fügen sich die technischen Gerätschaften in Stefan Fahrnländers Bildern mit vermeintlichen Naturstücken in einer Weise zusammen, die wir so aus unserem Alltagserleben nicht kennen. Die uns als Teil menschlicher Evolution vertraute Dialektik von Natur und Technik erlebt in seinen Bildern einen neuen, synthetisch wirkenden Status, wobei sich Natur und Technik scheinbar materiell vereinen. Irritiert nehmen wir Durchdringungen und Verwachsungen zur Kenntnis, die physikalisch unmöglich wären, die aber in ihrer Virtualität zu existieren scheinen. Offen bleibt dabei, ob die Natur die Technik oder die Technik die Natur bedrängt oder sogar auslöscht. Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass die Bilder diese Dialektik in einem zukünftigen Stadium zeigen, also etwas antizipieren, auf das wir uns einzustellen haben. Wie dem auch sein wird, die von Stefan Fahrnländer imaginierten und dann am Rechner konstruierten Objekte und Szenarien verkörpern stets wahrheitsgemäß das von ihm Gewollte, doch erschöpft sich diese Wahrheit stets darin, dass das alles so nicht greifbar existiert. Das Virtuelle interferiert mit der Lüge. Das Wahre, das, was unsere Augen erblicken, ist Lüge. Auch das ist Realität – die der Kunst.

Enno Kaufhold